Samstag, 14. Juni 2014
Die Obermühle liegt unweit des Bahnhofs, so dass wir keinen übermäßigen Stress haben, unseren Zug um 9.45 Uhr zu erreichen.
Gespannt bin ich auf das Umsteigemanöver in Dresden-Neustadt, aber das klappt wider Erwarten sehr gut, denn es gibt Aufzüge an den Bahnsteigen. Ansonsten ist das ja sonst der Horror, wenn wir die beiden schwer bepackten Räder Treppen runter und wieder rauf wuchten müssen.
Allerdings fährt unser IC zunächst nur mit einer Diesellok, also mit verminderter Kraft, und so ergibt sich bis Hannover eine Verspätung von 40 Minuten – und ich dachte, wir hätten ausreichend Zeit zum Umsteigen. Räder mit Gepäck aus dem Abteil wuchten, Bahnsteig wechseln bei den vielen anderen Reisenden, Räder wieder drei Stufen hinaufwuchten in den neuen Zug – wir sind schweißgebadet, als wir endlich im Anschluss-IC sind, der letztendlich nur auf uns gewartet hat. Wer eine Reise macht, kann viel erzählen!
Ich will mich nicht in Rage reden, aber es bleibt mir unverständlich, wie die DB extra Fahrradabteile vorsieht, bei denen man das Rad drei, manchmal vier Stufen hoch bugsieren muss – ohne Hilfe einer zweiten Person ist das alles nicht zu schaffen. Aber glücklicherweise trifft man immer wieder nette, hilfsbereite Menschen, die einem in solcher Situation beistehen.
Wir steigen in Gießen nochmals um in eine Regionalbahn bis Wetzlar, die letzen Kilometer legen wir mit dem Rad zurück.
Nach fast 877 km kommen wir müde, aber mit vielen neuen Eindrücken zu Hause an.
Archiv für den Monat: Juni 2014
Rückreise per Bahn bis Wetzlar
Görlitz
Freitag, 13. Juni 2014
Zum Frühstück gibt es selbstgebackenes Brot, leckere Wurst und Käse aus der Region, natürlich Bio-Eier und selbst gemachte Konfitüren, frisches Obst, guten Tee – und die glückliche Mitteilung, dass wir doch bleiben können. So verbringen wir die letzte Nacht unserer Tour in einem komfortablen Doppelzimmer mit einem bequemen Bett.
An diesem Vormittag erkunden wir die Stadt per Rad. Die Altstadt präsentiert sich als ein wahres Kleinod mit fast durchgängig renovierten, herrschaftlichen Wohnhäusern aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Das wunderschöne Jugendstilkaufhaus ist zurzeit geschlossen, denn es soll seinen strahlenden Glanz wieder erhalten.
Ich kann mich erinnern, dass es vor circa 20 Jahren in den Straßen überall nach Muff und Moder roch und die Gebäude am Verfallen waren – heute ist sich Görlitz dieses wahrscheinlich weltweit einzigartigen Schatzes bewusst und bemüht sich um die Erhaltung all dieser herrschaftlichen Häuser. Die Stadt wird schon „Görliwood“ genannt, weil sie eine hervor-ragende Kulisse abgibt für Dreharbeiten von Filmen wie z.B. „Der Vorleser“.
Außerdem hat Görlitz ja einen anonymen Gönner – nur der Bürgermeister kennt seinen Namen -, der seit 1990 der Stadt jährlich 500 000 € für soziale Projekte überweist.
Über die Neißebrücke fahren wir nach Zgorzelec Niesky, der polnischen Hälfte von Görlitz, das 1945 geteilt wurde. Hier lädt nichts zum Verweilen ein, diese Stadthälfte wollen wir schnell wieder verlassen. Per Zufall kommen wir zur neuen Fußgängerbrücke, die die beiden Städte miteinander verbindet, und kehren rasch zurück nach Deutschland.
Unser Mittagessen besteht aus einer original thüringischen Bratwurst mit Senf aus Bautzen. Nachtisch ist leckerer schlesischer Mohnkuchen im Café 1900. Dann radeln wir zurück und fallen in einen ausgedehnten Mittagsschlaf.
Jetzt müssen wir uns auf die Rückreise vorbereiten. Heute Abend essen wir im Gastraum der Mühle, denn es regnet und ist kühl – das richtige Abschiedswetter. Nachts leuchtet der dicke Vollmond durch die Mühlenfenster.
18. Etappe: Zittau – Görlitz
= 46 km + 18 km
Donnerstag, 12. Juni 2014 – Freitag, 13. Juni 2014
Morgens ist der Himmel leicht bedeckt, die Temperaturen scheinen sich wieder bei nor-maleren Werten einzupendeln. Bevor wir Zittau verlassen, sehen wir uns den versteinerten Stubben eines 25 Millionen Jahre alten Urweltmammutbaums an, der in den 1930er Jahren in der Nähe gefunden wurde. Heute steht er eingehaust vor dem Christian Weise-Gymnasium und kann täglich von vielen Schülern gesehen werden.
Zum Abschluss unseres Besuches machen wir einen Abstecher hinunter an die Neiße zum Dreiländerpunkt, wo Deutschland, Polen und Tschechien aneinandergrenzen; die Europafahne als verbindendes Element scheint etwas verloren zu wehen an dieser Stelle Niemandsland.
Entlang der Neiße setzen wir unseren Weg fort. Es ist einfach zu radeln, denn es geht jetzt nur noch in Fließrichtung, also bergab. Links des Wegs stehen in gewissen Abständen Pfosten mit schwarz-rot-goldenen Streifen, am anderen Ufer sind die Pfosten rot-weiß gestreift.
Kurz vor Kloster Marienthal, einer ehemals bedeutenden Zisterzienserabtei, halten wir für ein Mittagspicknick an einem Neißebogen. Das Wasser fließt braun und dunkel vorbei, was wahrscheinlich vom Braunkohleabbau auf der polnischen Seite herrührt. Kauend beobachten wir eine Haubenente, die ihre sechs Küken spazieren führt und ihnen dabei das Tauchen und Insekten jagen beibringt. Die Tierchen schwimmen dicht beisammen und scheinen die An-weisungen ihrer Mutter aufmerksam zu befolgen. Das sieht nett aus. Später kommen wir an einem Getreidefeld vorbei, das schon von weitem kräftig blau leuchtet: Kornblumen in solcher Üppigkeit habe ich das noch nie gesehen!
Die Suche nach einer Unterkunft in Görlitz gestaltet sich kompliziert; nach mehreren telefonischen Absagen wird uns klar, dass es eigentlich ein Schildbürgerstreich war, die Rückfahrkarte zu kaufen, ohne gleichzeitig ein Zimmer zu reservieren. Aber wir haben Glück!
In der Obermühle Görlitz, direkt am Radweg gelegen, bekommen wir für eine Nacht eine Art Notquartier in einer mehrere Zimmer umfassenden Wohnung, die zunächst stark nach Mottenpulver riecht. Eigentlich hatte ich mir ein gemütliches Hotel vorgesellt, aber wir müssen nehmen, was uns angeboten wird. Also öffne ich alle Fenster des Schlafraumes und hoffe auf frische Luft für die Nacht.
Die Inhaberin der Mühle braut ihr Bier selbst; wir probieren im nachmittäglichen Sonnenschein das dunkle „Ghost“. Von der Terrasse blicken wir auf den Grenzfluss, das gegenüberliegende Ufer gehört bereits zu Polen.
Das kulinarische Angebot des Hauses, das sich der Slow Food-Bewegung angeschlossen hat, ist wirklich hervorragend. Nach einem sehr guten Abendessen rauscht uns die Neiße in den Schlaf.
17. Etappe: Schirgiswalde – Zittau
= 49 km
Mittwoch, 11. Juni 2014
Schon früh am Morgen ist die Hitze drückend spürbar, es wird ein schwüler Tag werden.
Der wunderschöne Radweg längs des Flüsschens Wesenitz führt uns durch schattigen Wald, der zunächst die Wärme noch fernhält.
Wir nähern uns jetzt dem Naturpark Zittauer Gebirge und genießen die harmonische Landschaft. Kleine Dörfer mit schmucken Häusern liegen am Weg. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hat es hier wohl auf Grund eines gewissen Reichtums durch das Salzgeschäft rege Bautätigkeit gegeben, denn wir sehen viele ehemals prächtige Häuser aus dieser Epoche. Wie schon mehrfach unterwegs fallen mir auch hier die hübschen Gärten mit üppigen Rosen auf, die in allen Farben blühen. Wir radeln nun längs der Spree. In Eibau finden wir wieder eine Art Kantine für ein kleines, günstiges Mittagessen.
Was für eine Affenhitze! Der Fahrtwind kühlt angenehm und trocknet ein wenig den Schweiß, aber sobald wir vom Rad steigen, fällt uns die Wärme regelrecht an. Beide haben wir hochrote Köpfe.
In der Schlossschänke von Alt-Hörnitz würden wir gerne etwas Erfrischendes trinken, aber die Terrasse liegt in der Sonne und im kleinen Schlosspark wird gerade Gras gemäht, also ziehen wir weiter.
Wir kommen entlang des Flüsschens Mandau zügig voran. Werner macht mich wieder aufmerksam auf die Ursprünglichkeit der Flussaue; dicke Weiden säumen das Ufer.
Bald erreichen wir Zittau, eine kleine charmante Stadt mit wunderbaren alten Häusern, etwa so groß wie Wetzlar. Im Innenhof des Dornspachhauses machen wir erst mal Pause und trinken etwas Frisches – und pünktlich nach unserer Ankunft gibt es ein kurzes Gewitter mit einem Regenguss. Wir sitzen sicher im Trockenen, die leichte Abkühlung ist äußerst will-kommen.
Abends fällt Zittau offensichtlich in Dornröschenschlaf, der Lärm auf dem Marktplatz – auch hier wird gebaut! – ist verklungen, in den Straßen ist es ruhig geworden. Im Hotel Zittauer Hof verbringen wir eine erholsame Nacht, was mir besonders gut tut, denn seit Dresden kämpfe ich mit Husten und Erkältung.
16. Etappe: Stolpen – Schirgiswalde
= 46 km
Dienstag, 10. Juni 2014
Puh, was für eine Hitze! Wir lassen uns nicht allzu viel Zeit beim Frühstück, denn morgens ist es doch noch etwas weniger schlimm mit den Temperaturen. Aber als erstes kaufen wir in einem der hier nahezu flächendeckend vorhandenen Netto-Märkte eine große Tagesration Mineralwasser ein, dann brechen wir Richtung Cunnersdorf auf.
Das Elbsandsteingebirge wird jetzt nahtlos vom Oberlausitzer Bergland abgelöst, und das heißt, wir durchfahren eine sehr hügelige, wunderbar grüne Landschaft, wieder mit großen Feldern und Äckern, umstanden von lockeren Baumgruppen – mir fällt als Vergleich das Allgäu ein.
Wir arbeiten uns also bergauf, bergauf, lassen es ein bisschen bergab rollen, bevor es wieder mehr oder minder steil hinan geht – sehr, sehr mühsam bei dieser Hitze! Ich könnte wetten, anstelle meines Gepäcks heute Backsteine zu transportieren! Nur langsam kommen wir voran, aber die schöne Landschaft entschädigt uns ein bisschen für die Anstrengung. Besonders beeindruckt sind wir immer wieder von den mächtigen Bäumen; da stehen Eichen, Buchen oder Kastanien, deren Stämme zwei Männer kaum umfassen könnten.
Hinter Neustadt in Sachsen führt der Fernradweg D4 mehrere Kilometer durch schattigen Wald, was wir sehr genießen. Das Sonnenlicht wirft hier und da kleine Lichtinseln auf den Weg, unter den langen kahlen Stämmen der Fichten wachsen die breiten Fächer der Farne neben einem Waldgras, das aussieht wie eine gekämmte Mähne. Links und rechts des Wegs liegen dicke Granitbrocken, und auf manchen der Findlinge sprießen winzigste Bäumchen, die oftmals nur ein oder zwei Blätter am zukünftigen Stamm tragen. Lautes Vogelgezwitscher ist unser Begleiter. Es geht weiterhin stetig bergan, was hier auf dem Waldweg keineswegs nur mühsam ist. Später müssen wir allerdings die erklommene Höhe auf einem zerklüfteten, ausgewaschenen Schotterweg steil bergab verlassen und das ist wirklich anstrengend, denn schweres Rad und schweres Gepäck müssen abgebremst werden.
Zu Mittag finden wir in Neukirch eine Art Firmenkantine, wo wir für kleines Geld ein einfaches, aber schmackhaftes Essen bekommen. Allzu lange halten wir uns dabei nicht auf, denn mit der Hitze wird es ja nicht weniger.
Hinter Ringenhain geht es richtig steil bergan nach Weifa. Oben auf der Höhe angekommen setzen wir uns zum Verschnaufen auf eine Bank im Schatten. Auf meinen kurzen Hinweis: „ 35,9!“ – gemeint sind die zurückgelegten Kilometer – fragt Werner mit schweißnassem Gesicht: „Grad?“ Das könnte stimmen.
Es ist erst halb drei, aber wir sind erschöpft, unsere Akkus neigen sich ihrem Ende zu, und zwar sowohl die rein körperlichen als auch die technischen am Flyer, also kümmern wir uns um ein Hotel in Schirgiswalde. Es stellt sich heraus, dass es eins dieser ehemaligen, riesigen DDR-Hotels ist, das wohl Ferienquartier von ganzen VEB-Belegschaften war, heute eher den Standard eines Jugendgästehauses bietet.
Bis dorthin strampeln wir bergan, sausen steil bergab, glücklicherweise haben unsere Räder gute Bremsen. Wir erklären unser Tagewerk für beendet; jetzt braucht’s dringend eine kühle Dusche.
Später ergänzen wir die Wasservorräte, essen mäßig gut, und der Abend klingt gemütlich aus bei einem Glas Wein, ich verfasse unsere Reisenotizen.
15. Etappe: Dresden – Stolpen
= 45,5 km
Montag, 09. Juni 2014
Schon früh am Morgen ist es heiß! Entgegen unseren bisherigen Gepflogenheiten kriechen wir kurz nach 7 Uhr aus den Betten, sammeln unsere Siebensachen zusammen, halten uns nicht allzu lange beim Frühstück auf und sitzen bereits um kurz nach 9 Uhr auf den Rädern.
Bis zum Elberadweg sind es vier Kilometer, dann fahren wir weitere16 Kilometer längs des Flusses, bis wir auf den Fernradweg D4 Aachen-Zittau wechseln. Nun befinden wir uns am nördlichen Rand des Elbsandsteingebirges, was auch heißt, es geht bergan. Und das bei dieser Hitze! Wir durchqueren verlassene Dörfer, finden glücklicherweise einen Gasthof in Lohmen, wo wir kühles Mineralwasser trinken sowie Suppe und Eis löffeln.
Die weiträumige Landschaft ist geprägt von riesigen Agrarflächen, aber Baumgruppen und Waldstücke lockern das Ganze auf, so dass die Gegend nicht so verlassen wirkt. In der Mittagswärme verbreitet sich der betörende Duft der Lindenbäume, immer wieder begleitet uns der Ruf eines Kuckucks.
Mit hochroten Köpfen, verschwitzt, durstig, staubig und einfach müde erreichen wir Stolpen. Das ist ein reizendes kleines Städtchen um eine Burg herum, hoch oben auf einem Basalthügel, mit weitem Blick ins Land. Im Goldenen Löwen am wunderbar harmonischen Marktplatz finden wir ein komfortables Zimmer und später gutes Essen.
August der Starke hat Gräfin Cosel, seine „Frau zur Linken“, mit der drei Kinder hatte, hier-hin verbannt, als er ihrer überdrüssig wurde und sie auch politisch nicht mehr genehm war. Sie hat bis zu ihrem Tode 49 Jahre hier gelebt.
Wir lassen nach einem kleinen Rundgang den Abend ruhig ausklingen, um für den nächsten Tag gerüstet zu sein – auch morgen soll das Thermometer die 30°-Marke übersteigen! Der Abend ist lau, wir könnten theoretisch draußen schlafen, ziehen aber das mollige Bett vor.
14. Etappe: Dresden – Moritzburg – Dresden
= 31 km
Sonntag, 08. Juni 2014 (Pfingsten)
Am Himmel herrscht brütende Hitze: Mehr als 35° waren für heute angekündigt und sind angekommen.
Wir fahren ca. 15 Min. mit dem Bus, dann radeln wir über schattige Waldwanderwege nach Schloss Moritzburg, das behäbig in der Mittagshitze daliegt. In Adams Gasthaus, einer der ältesten Gaststätten Sachsens, essen wir zu Mittag.
Auf dem Rückweg kommen wir über Boxberg, wo ich 1992 eine Woche Im Nesselgrund bei Frau Eckelt gewohnt habe – und sie steht tatsächlich vor ihrem Haus. Zwar will sie gerade mit ihrem Mann wegfahren, aber sie freut sich über den Besuch und nimmt sich Zeit für einen kleinen Plausch im Garten. Es ist nett, sich nach so langen Jahren wiederzusehen.
Verschwitzt kehren wir zurück in die Pension und schlafen erst mal eine Runde. Das Abendessen im vietnamesischen Lokal Kinh Do neben der Kreuzkirche ist vorzüglich. Für Werner gibt es bei Alexandros einen letzten griechischen Joghurt mit Honig und Nüssen, wir haben ein nettes Tischgespräch mit einem jungen Israeli und genießen den Abend.
Dresden
= 13 km
Samstag, 07. Juni 2014
Heute sind Faulenzen, kleine Einkäufe erledigen und das Paket zurücksenden angesagt. Es herrscht ein riesiges Aufgebot an Einsatzkräften der Polizei wegen des Neonazi-Aufmarsches, der sich in der Nähe formieren soll. Die Luft vibriert förmlich vor Anspannung. trotz dieses Polizeischutzes fühle ich mich unbehaglich und unsicher und bin froh, als wir zurück in der Pension sind.
Mittags machen wir ein kleines Picknick auf dem gemütlichen Freisitz vor unserem Zimmer, anschließend Siesta und radeln gegen 18 Uhr in die Innenstadt. Wir haben Glück und bekommen Karten für den Theaterkahn, der vor der Augustusbrücke liegt, wo wir ein unter-haltsames Ein-Personen-Stück ansehen mit dem Titel „War das schon Sex?“. Ein Mann trägt fast zwei Stunden lang seine Erfahrungen mit seiner Frau, dem Ehe- und Familienleben vor und schließt mit der Bemerkung: „Gleichberechtigung fordert Gleichmut – und List, viel List!“ – irgendwie aus dem Leben gegriffen, oder?
Bei Alexandros gönnen wir uns in lauer Sommernacht noch einen Absackerwein.
13. Etappe: Dresden – Bad Schandau – Dresden
= 52 km
Freitag, 06. Juni 2014
Heute machen wir einen Ausflug ins Elbsandsteingebirge. Wir nehmen den Zug vom Neu-städter Bahnhof bis Bad Schandau und radeln dann den Elberadweg flussabwärts. In der Bahn müssen wir noch eine kleine Episode mit dem Zugbegleiter der DB bestehen, der von uns 4 x 40€ (!) verlangt, weil wir die Fahrkarten nicht vorher am Bahnsteig entwertet haben. Werner widerspricht ihm empört, bemerkt aber auch meine sanften Stupser mit dem Fuß und lässt sich ein bisschen bremsen. Letztendlich zeigt sich der Herr Schaffner großzügig und lässt uns ungeschoren davonkommen, nicht ohne die ebenso mit Fahrrad reisenden Damen hinter uns als vorbildlich herauszustellen.
Von Bad Schandau fahren wir nach Bad Rathen und bewundern die beeindruckenden For-mationen des Elbsandsteingebirges, die am Horizont in den Himmel ragen. Die Elbe fließt vollkommen unaufgeregt durch die malerische Landschaft.
Je näher wir Dresden kommen, umso mehr Ausflugsradler und -raser bevölkern den Radweg.
Überhaupt ist das Radfahren in Dresden eine besondere Sache, bei der viel Aufmerksamkeit und fast ebenso viel Mut gefragt sind. In der Innenstadt sind durchgehenden Radwege rar, manche Radfahrer nutzen die normale Fahrbahn, auf den breiten Gehwegen fahren Radfahrer in beiden Richtungen, die vielen Fußgänger schlendern sorglos daher – man kann nur von Glück sprechen, wenn bei diesem Chaos nicht mehr Unfälle passieren.
Wir fahren über das Blaue Wunder, eine der wenigen Elbebrücken, und erfrischen uns mit einem Bier im Körner Garten am Fluss. Danach navigiert uns Werner auf direkten Weg zurück in unser Stadtviertel. Müde und verschwitzt kehren wir zum Abschluss des gemüt-lichen Ausfluges bei „Alexandros“ ein, wo wir an diesem warmen Sommerabend auf der Terrasse sitzen, lecker essen und ordentlich viel trinken – wir haben ja schließlich Durst!
Dresden
Donnerstag, 05. Juni 2014
Wir kaufen eine Familienkarte für die Tram, was uns für den ganzen Tag öffentlich mobil sein lässt, denn heute haben wir in der Stadt Großes vor.
Der Besuch des Kästner-Museums am Albertplatz bleibt allerdings nur ein Versuch, da wir nicht angemeldet sind (!) und ansonsten der Donnerstag für Schulklassen reserviert sei. Weit und breit sind keine anderen Besucher da – wir sind enttäuscht und können über solches Vorgehen nur den Kopf schütteln.
Also fahren wir weiter in die Innenstadt. Im Café Prag werden Gerichte aus vielen Teilen der Welt frisch zubereitet: aus Ungarn, Italien, Vietnam, China, Japan, Indien, Syrien, aus den USA, Russland, der Türkei, aus Sachsen natürlich … Wir wählen Vietnamesisches, dazu einen leichten französischen Wein.
Danach kehren wir zu einem kleinen Mittagsschlaf zurück, um für das große Abendprogramm fit zu sein: Werner hat sich für politisches Kabarett in der Herkuleskeule entschieden, ich sehe in der Semperoper „Alcina“, eine barocke Oper von G.F. Händel aus dem Jahre 1735.
Zunächst gibt die Dramaturgin im Opernkeller eine hervorragende Einführung in die Opern-welt des 18. Jahrhunderts, erläutert kurz Händels Schaffen und geht dann detaillierter auf „Alcina“ ein. Das ist für mich alles sehr informativ und hilft mir, der Handlung ohne inhalt-liches Stolpern zu folgen. Ich erlebe eine sehr anspruchsvolle, fesselnde Darbietung der Sänger und bin danach ganz mitgenommen von der Aufführung. Das Bühnenbild ist sehr reduziert und unterstützt klar und prägnant die Handlung. Ein Mann steht zwischen zwei Frauen, die sehr unterschiedliche Auffassung vom Leben und Lieben haben: Die Zauberin Alcina verkörpert Leidenschaft und Luxus, be- und verzaubert Männer nach Lust und Laune, wohingegen Bradamante für Pflicht und Harmonie steht. Ruggiero ist der Zauberin verfallen,
kehrt dann aber mit seiner Frau ins bürgerliche Leben zurück. In der Dresdner Aufführung
wählt er den Tod als Ausweg. Alcinas Reich verschwindet, beide Frauen bleiben zerstört und trauernd zurück.
Ebenso begeistert wie ich die Oper genießt Werner seinen Kabarettbesuch. Wir trinken noch gemeinsam ein Bier und tauschen dabei unsere kulturellen Erlebnisse aus.
Die Rückkehr mit der Tram spät nachts dauert länger als erwartet. Unangenehm fällt uns am Bahnhof Neustadt der erste Neonazi auf: ein junger Mann in paramilitärischer Kleidung, tätowiert bis zum Hals, mit großem Schäferhund an locker gehaltener langer Leine, sehr selbstbewusst im Auftreten, seine Braut himmelt ihn offenbar an. Für Samstag ist im Stadtteil Pieschen, ganz in der Nähe unserer Pension, ein Treffen von Rechtsextremen angekündigt.
Dresden
16,5 km
Mittwoch, 04. Juni 2014
Morgens fahren wir per Fahrrad in die Stadt. Zunächst will ich meine reservierte und bereits bezahlte Opernkarte abholen, und bei dieser Gelegenheit melden wir uns beide gleich für eine Semperführung am Nachmittag an. Auf der Elbterrasse sitzt sich’s gemütlich mit den vielen Touristen aus vielen anderen Ländern.
Im Neuen Grünen Gewölbe, dem Museum für Schatzkunst, sind wir beeindruckt von den unermesslich prachtvollen Kostbarkeiten. Die Kabinettstücke August des Starken lassen uns aus dem Staunen nicht herauskommen, denn sie zeugen von enormer kunsthandwerklicher Fähigkeit, von einem unermesslichen Reichtum, von großem Sinn für Schönes und Wertvolles. Die Kostbarkeiten sollten als Mikrokosmos den Makrokosmos mit seinen Facetten in Natur und Wissenschaft und auch im Bereich Galanterie abbilden und ausgestellt werden. So entstand hier eines der ersten Museen.
Wir werfen noch einen Blick in eine aktuelle Ausstellung im Stadtschloss, die den Dionysos-kult in seinen unterschiedlichen Ausprägungen zum Thema hat. Danach nehmen wir an einer Führung in der Semperoper teil, die uns mit Geschichte und Architektur des großen Hauses bekannt macht.
Nach dem Kulturprogramm kehren wir früh abends zurück in die Pension und legen zur Erholung eine kleine Pause ein. Später essen wir bei Alexandros griechisch: Es schmeckt aus-gesprochen lecker, der Wein ist bekömmlich, wir empfinden bei guten Gesprächen entspannte Urlaubsatmosphäre.
Dresden
Mittwoch, 04. Juni 2014 – Sonntag, 8. Juni 2014
„Die Jagdschlösser Moritzburg und Pillnitz für die Lust, die Festung Königstein zum Einkerkern und Pressen, Bastei und Elbsandsteingebirge für das romantische Gemüt, der Elbstrom für das Fernweh, Meißen für das Porzellan und den Wein, den Zwinger und die Semperoper in der Altstadt zum Feiern.“
(Super reisen! Sachsen, Merian 1992, S. 33)
Also schau’n wir mal!
12. Etappe: Meißen – Radebeul – Dresden
= 26,5 km
Dienstag, 03. Juni 2014
Heute liegt nur eine kurze Strecke vor uns. Längs des Elberadwegs fahren wir bis Radebeul, wo wir das Karl May-Museum besichtigen. In der Villa Bärenfett sind Gegenstände ausgestellt, die sich mit der Kultur verschiedener Indianerstämme und deren zum Scheitern verurteilten kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Weißen widmen. Die Villa Shatterhand war das Wohnhaus des genialen Geschichtenerfinders; hier sind seine Lebensdaten dokumentiert und man sieht z. B. sein prächtig eingerichtetes Arbeitszimmer sowie seine sehr umfangreiche Bibliothek. Er war wohl ein richtiger Aufschneider und Fabulant, aber sein Eintreten für die Gleichberechtigung aller Menschen, für ein Verstehen anderer Kulturen hat immer noch seinen Stellenwert.
Nach einem kleinen Imbiss sind es nur noch wenige Kilometer, bis wir Dresden erreichen, wo wir bei Familie Füg einige Tage wohnen werden. Sie betreiben eine kleine Pension und haben sich am Stadtrand mit ihrem weitläufigen, sehr gepflegten Garten ein grünes blumiges Refugium geschaffen. Morgens weckt uns das Gackern der Hühner, Kater Klaus schleicht durchs Gebüsch, Lärm und Unruhe der Stadt dringen nur gefiltert bis hierher.
An diesem ersten Abend düsen wir mit den Rädern los und verschaffen uns einen Eindruck von der Innenstadt. Werner ist regelrecht enttäuscht von den finsteren Fassaden der großen Sehenswürdigkeiten wie Semperoper, Zwinger, Stadtschloss, Frauenkirche. Wir vermuten, dass die Rückstände der Feuersbrunst vom 13. Februar 1945, als englische Bomber „Elbflorenz“ in Schutt und Asche legten, einerseits kaum zu beseitigen sind, man andererseits damit vielleicht die Geschichte wach halten will.
Nach dem säggsisch-beehmischen Abendessen auf dem Altmarkt finden wir wieder den Rückweg und damit ist’s genug.
Meißen
Montag, 02. Juni 2014
Vormittags steht als erstes die Meißener Porzellanmanufaktur auf dem Programm. In der Schauwerkstatt demonstrieren die künstlerischen Fachleute schrittweise die handwerkliche Fertigung ihrer wertvollen Gegenstände. Anschließend bewundern wir auf den drei Etagen des Museums die vielen ausgestellten Kostbarkeiten aus vergangenen Zeiten. Ein kleiner Erinnerungskauf verhilft uns zu zwei schlichten weißen Espresso-Tässchen, die bestimmt gut zu unserem blauen Geschirr zu Hause passen werden. Im feinen Restaurant des Hauses nehmen wir einen kleinen feinen Imbiss ein, schlürfen später ein Gläschen Meißener Wein auf dem Marktplatz, lauschen dem Glockenspiel an der Frauenkirche, wo Glocken aus Meißener Porzellan im Viertelstundentakt hell und zart erklingen, dann ist Siesta.
Ich schlafe so fest, dass ich erst um 18 Uhr wieder zu mir komme!
Später, bei einem kleinen Bummel durch die Altstadt, ist es wirklich nicht zu übersehen: Es gibt noch viel, sehr viel zu renovieren! Wir fragen uns: Möchten wir hier wohnen, wo der Verfall so augenscheinlich daherkommt? Warum sieht es immer noch so desolat aus? Zwar sind nun schon 25 Jahre ohne DDR-Verhältnisse ins Land gegangen, aber die beiden Hochwasserkatastrophen bis zur Halskrause haben die Stadt wohl im Aufbau auch sehr gebremst. Heute berichtet die Tageszeitung auch hier von Klagen über hohe bürokratische Hürden bei der finanziellen Hilfe für die Hochwasseropfer von 2013, weil 2002 wohl zu häufig getrickst wurde.
Im „Goldenen Löwen“ essen wir so fein zu Abend, dass Werner später gerne noch ein belegtes Brot verdrückt. Grimma, Döbeln, nun auch Meißen: Es fällt bei den Lokalen in der Innenstadt auf, dass neues Mobiliar auf neuen Fußböden steht.
Wir beschließen den Tag mit Lesen bzw. ich führe noch ein bisschen Reisetagebuch.
11. Etappe: Döbeln – Meißen
= 50,5 km
Sonntag, 01. Juni 2014
Nach Diskussionen wegen der zu wählenden Strecke brechen wir spät auf. Geotracking über Berg und Tal (männlich) steht versus Radwanderkarte der Region (weiblich), wobei sich die Befürworterin für eine Fahrt am Fluss entlang durchsetzt. Zunächst allerdings ist der Weg wegen einer Baustelle kaum passierbar, da als präventiver Hochwasserschutz hier ein Ringwall zur Mulde wächst. Außerdem sind die Schäden vom vergangenen Jahr noch nicht beseitigt, so dass wir uns auf einem ausgewaschenen, teilweise weggebrochenen, zerklüfteten Pfad vorankämpfen, bevor wir dann auf den guten Radweg entlang des beinahe romantischen ursprünglichen Flussufers stoßen.
Es ist sonnig, aber windig-kühl.
Bei Nossen schlagen wir leider doch einen falschen Weg ein, der uns letztendlich über Berg und Tal führt. Wir bewegen uns hier in der Kornkammer Sachsens. Bis zum Horizont reichen riesige landwirtschaftliche Anbauflächen, für die die einfache Bezeichnung Äcker oder Felder falsch wäre: keine Kornblume, kein Klatschmohn, nichts außer Getreide. In den wenigen, abgelegenen Siedlungen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: enge Straßen ohne Gehsteig, kleine Häuser mit kleinen Fenstern und dem farblos braungrauen DDR-Verputz, manchmal folgt uns ein misstrauischer Blick. Hier ist absolut nichts los.
Im Triebischtal haben gerade erst vor wenigen Tagen heftige Regenfälle eine Schlammlawine ausgelöst; Straßen und Wege sind teilweise noch mit der braunen Masse bedeckt, die langsam kompakt zu trocknen beginnt.
Endlich nähern wir uns Meißen. Über das mehr als holprige Kopfsteinpflaster kämpfen wir uns durch bis mitten auf den Marktplatz. Im „Schwerter Schankhaus“ logieren wir uns ein, die Fahrräder können wir bei der Tourist-Info gegenüber einschließen lassen.
Das Abendessen in der Schankstube schmeckt säggsisch-deftig. Wir sind nach den Anstrengungen der letzten Tage rechtschaffen müde, beschließen morgen einen radfahrfreien Tag einzulegen und schlafen bald.
10. Etappe: Grimma – Döbeln
= 44 km
Samstag, 31. Mai 2014
Heute verwöhnt uns sommerlicher Sonnenschein, zwar kombiniert mit kühlem Wind, aber auf jeden Fall regenfrei.
In einer kleinen Buchhandlung kaufen wir zwei Landkarten, dann startet unsere Fahrt entlang der idyllischen Mulde. Eigentlich wollen wir in Leisnig Pause machen, aber wir fliehen vor den vielen verlassenen, heruntergekommenen Häusern und fahren weiter nach Döbeln, der ältesten Stadt Sachsens.
Döbeln, umarmt von der Freiberger Mulde, stand im letzten Jahr ebenso wie 2002 in der Innenstadt 1,80 m hoch unter Wasser. Im Restaurant des Hotels Döbelner Hof entdecke ich einen Wimpel, der an die Hilfe des THW Wetzlar erinnert – eine nette Geste.
Heute fühle ich mich müde und ein bisschen kopfschmerzig; fröstelnd schlafe ich ein.
9. Etappe: Markkleeberg – Grimma
= 50 km
Freitag, 30. Mai 2014
Der Weg führt uns durch den agra-Park beim Markkleeberger Schloss, wo es zahlreiche Erinnerungsstätten an die Völkerschlacht von Leipzig 1813 gibt. Östlich der Stadt liegt das Gebiet aus dem ehemaligen Braunkohletagebau, das geflutet wurde und wo sich heute ein großer See mit Ostseesandstrand befindet, ein Ausflugsziel für Jung und Alt. Von Ferne werfen wir einen kurzen Blick auf das Völkerschlachtdenkmal.
Heute ist es sonnig, wenn auch kühl und windig.
Gegen 15.30 Uhr sind wir in Grimma. Ich bin müde, ausgepowert und durstig, und so steuern wir als erstes ein Café an.
Grimma hat zwei große Überschwemmungen durch die Mulde hinter sich: im August 2002 und letztes Jahr, was bei den Bewohnern der Stadt traumatische Erfahrungen hinterlassen hat.
Wir nehmen mitten im Ort ein Zimmer im Hotel ‚Das goldene Schiff’, wo wir ein großes Zimmer bekommen. Das Abendessen dort ist gut-bürgerlich und preiswert. Danach verziehen wir uns zu einem kleinen Fernsehabend aufs Zimmer, und bald kriechen wir in die Federn.
8. Etappe: Weißenfels – Markkleeberg
= 47 km
Donnerstag, 29. Mai 2014
Morgens regnet es immer noch, es ist kalt. Wir zögern mit dem Aufbruch nach dem Frühstück, müssen erst mal ohne Karte den Weg abklären! Gegen 11.30 Uhr fahren wir los – es ist immer noch regnerisch, kalt und trübe. Ich habe schlechte Stimmung und ahne: Das wird kein guter Tag. Die Fahrt geht durch eine verlassene Gegend: links Felder, rechts Felder – Fuchs und Hase haben sich schon verabschiedet.
Gegen 15.30 Uhr erreichen wir Markkleeberg, südlich von Leipzig: durchfroren, müde und hungrig.
Übrigens: Heute ist Himmelfahrt, was hier zum Herrentag mutiert ist. Das heißt, halb verrückte betrunkene Horden von Männergruppen gleich welchen Alters ziehen grölend herum und fühlen sich eben wie Herren.
Im Café ‚Brot und Kees‘ beleben uns eine heiße Suppe, leckere Brötchen mit vegetarischem Aufstrich und frischer Kuchen. Unsere jungen Tischnachbarn empfehlen uns bei einem netten Gespräch eine Pension in der Nähe. Als wahrer Glückstreffer stellt sich das Restaurant und Pension ‚Weißer Stern’ heraus: In einem wunderschönen Jugendstil-Gastraum gibt es ein exquisites Essen: Spargelcremesuppe mit gebratenem Hecht, Lende im Baconmantel bzw. Maishähnchenbrust an Risoni mit Topinambur, dazu Schnippelbohnen und als Dessert Mascarpone-Crêpes-Torte mit Zitronensorbet – köstlich! Wir verbringen eine erholsame Nacht im himmlisch bequemen Bett, aber da leider ausgebucht ist, fahren wir am nächsten Morgen weiter.
7. Etappe: Eberstedt – Weißenfels
= 49 km
Mittwoch, 28. Mai 2014
Wir starten im strömenden Regen, natürlich in voller Montur. Längs der Ilm geht es bis Bad Sulza, dann folgen wir dem Saale-Radweg. Nun regnet es nur noch mäßig, trotzdem übermäßig, ich finde sogar unmäßig!
In Bad Kösen treffen wir auf grobes Rüttelpflaster ohne Ende und Straßenbaustellen, die uns Radfahrer nicht unbedingt ein sicheres Gefühl geben. Zudem merken wir immer häufiger, dass Autofahrer als freie Bürger hier im Osten auch gerne freie Fahrt haben möchten und uns Radfahrern wenig Akzeptanz entgegenbringen.
Richtig schön sind immer wieder die Kleingartenanlagen, die meist vor den Ortschaften liegen. Schon auf den ersten Blick wird die liebevolle Gestaltung dieser Datschensiedlungen deutlich: gepflegte Gärten mit Kartoffeln, Salat und Gemüse, aber auch herrlich farbenfrohen Blumen und Ziersträuchern, dazu ein adrettes Gartenhäuschen, oft auch eine Grillstelle – das kleine Paradies für jedermann.
Gegen Mittag kommen wir in Naumburg an. Als erstes wärmen wir uns bei einer heißen Suppe und Torte in einem Café auf; das Mitleid der netten Kellnerin gibt’s gratis dazu.
Natürlich wollen wir im gotischen Dom die Stifterfigur der Uta ansehen, und hier schließt sich für mich ein Erinnerungskreis: Der Bamberger Reiter und Uta vom Naumburger Dom sind beide Skulpturen vom Naumburger Meister, die in der NS-Zeit als Idealbilder vom deutschen Mann und der deutschen Frau propagiert wurden, damals in vielen Haushalten als Tonfiguren zu finden waren, so auch noch in den 1950er Jahren bei meinen Eltern im Wohnzimmerschrank.
Noch 15 km sind es bis Weißenfels. Der Regen lässt nach, aber trotzdem wär’s längs der Saale bei Sonne romantischer.
Im Hotel Jägerhof, einem Gebräude aus dem 16. Jahrhundert, genießen wir gutes Essen und haben ein nettes Zimmer. Trotz der Müdigkeit verbringe ich eine schlechte Nacht, denn von draußen es ist zu laut.
6. Etappe: Weimar – Eberstedt
= 29 km
Dienstag, 27. Mai 2014
Heute müssen wir von Weimar Abschied nehmen – leider! In dem charmanten Städtchen, das so viel Kultur atmet, hat es mir gut gefallen.
Nach einer Regennacht ist der Himmel grau, weitere Niederschlägen sind angekündigt.
Wo ist der Ilmtalradweg? Wie so häufig gestaltet es sich auch heute schwierig, den richtigen Schlupf zu finden: Wegen einer Baustelle gibt es für uns Radfahrer eine irreführende Umleitung, bis wir endlich durch Felder und Wiesen fahren.
Gegen Mittag nähern wir uns Apolda auf einem miserablen Radweg voller Schlaglöcher, später abgelöst von holprigem Kopfsteinpflaster. Ich fühle mich wie auf einer Rüttelmaschine – so macht Radfahren wenig Spaß!
In Apolda – wieder eine große Baustelle – gibt es ein kleines Museum, das wir besichtigen wollen: „Olle DDR“ zeigt Interessantes aus dem Alltagsleben der DDR-Bürger in den Jahren 1950 bis 1990. Vieles erinnert mich an die gleiche Zeit bei uns, manches aber lässt durchaus ein anderes Leben erahnen wie z.B. andere Lebensmittel oder die Zeugnisse der unmittelbaren staatlichen Indoktrination und der Kontrollhierarchien.
Als wir die Museumsbaracke verlassen, regnet es in Strömen. Also ziehen wir unsere vollständige Regenausrüstung an, um einigermaßen geschützt zu sein. Der Regen klatscht mir ins Gesicht (soll ja gut sein für den Teint), manche Autofahrer fahren unverhältnismäßig dicht an uns vorbei, Fontänen spritzen auf.
Bis zur Historischen Mühle in Eberstedt brauchen wir eine knappe Stunde. Dort finden wir ein behagliches Zimmer im ehemaligen Müller-Wohnhaus. Heute erweitert sich die tägliche Prozedur des Verstauens von Rad und Gepäck: Wir pellen uns nach und nach aus der Regenschutzkleidung, reinigen die dreckigen Gamaschen, suchen Stellen zum Trocknen der nassen Sachen, bewältigen also das volle Schlechtwetterprogramm, bevor wir uns ausruhen können.
Das zum Landhotel gehörige Lokal verspricht frische Forellen aus eigener Zucht, doch der Koch serviert uns ein eher lieblos zubereitetes Gericht wie in einem müden Ausflugslokal – aber wir haben ein sehr gutes Bett und somit eine gute Nachtruhe.